West Helena, AR - Clarksdale, MS
Tages-Km: 76
Gesamt-Km: 2.875
Streckenprofil: flach
Wetter: sonnig
Temperatur: 16 - 26° C
Eigentlich hätte ich heute … aber so ist das nun mal auf einer Radtour. Pläne sind Arbeitshypothesen. Manchmal funkt Mr. Murphy dazwischen.
Als ich heute morgen den Platten von gestern inspiziert und repariert habe, hatte ich schon ein komisches Gefühl. Ich konnte die Ursache für das klitzekleine Löchlein an einer Nahtstelle des Schlauches nicht ausfindig machen und habe das Ganze schließlich auf die schlechte Qualität des Schlauches geschoben. Ein Loch an einer Nahtstelle! Typisch. Im Reifen selbst konnte ich keine spitzen Gegenstände ertasten. Da war ich wohl noch nicht ganz wach. Jedenfalls habe ich schön brav einen (von zwei verfügbaren) Ersatzschläuchen eingebaut, den Reifen wieder zusammengebaut, aufgepumpt, eingebaut und habe mich guter Dinge auf den Weg gemacht.
Die Brücke von Arkansas über den Mississippi nach Mississippi ist zwar breiter als die in Cairo von Illinois nach Kentucky, aber trotzdem kein Vergnügen.
Glücklicherweise kam ich ohne Trucks ans andere Ufer und - zack - bin ich im vorletzten Bundesstaat dieser Tour angekommen: Mississippi
Die folgenden 20 Kilometer waren scheußlich. DDR-Betonplattenbauweise und viele Trucks. Zwischen der (Beton-)Fahrbahn und dem - nicht asphaltierten - Pannenstreifen gähnt ein Abrund, der auf dem Foto leider nicht deutlich genug zu sehen ist. Etwa 7 Zentimeter Steilkante von Beton zum Geröll. Wenn man nicht höllisch aufpasst, liegt man da schnell auf der Nase. Mal eben von der Fahrbahn auf den Pannenstreifen und und wieder zurück „is nich“.
Plattenbauweise und Trucks hören sich aus Radfahrerperspektive ungefähr so an: da-bunka, da-bunka, da-bunka, da-bunka (das ist jetzt schon eine ziemlich ruhige Phase), da-bunka, da…WUU-UUUSCHHHH, ..ka, da-bu..WUU-UUUSCH..bunka, da-WUUSCH…ka, da-b…WUUUSCH WUUUSCH WUHHSCH..ka, da-bunka… 20 Kilometer lang. Grausig!
Bei Lula (schade, Luna würde besser passen) biegt der Mississippi River Trail nach Süden ab und folgt für etwa zehn Kilometer dem Westufer des „Moon Lake“, einem der vielen stillgelegten ehemaligen Teilstrecken des Mississippi River. Wer den gestrigen Blog gelesen hat, weiß: der Moon Lake ist ein „Oxbow“.
So schön der Moon Lake auch sein mag, es gibt dort nur EIN Restaurant. Und das würde man auf Anhieb nicht als solches erkennen, oder?
Das Restaurant ist ein Laden für alles. Absolut alles. Alles und jedes. Alles. Es gibt dort nichts, was es nicht gibt. Lebende Würmer für Angler (Live Bait), Süssigkeiten, Postkarten, Essigkurken, Bohnen, Wein, Bier, Milch, Wasser, Kaugummi, Stofftiere, Angelschnüre, Zigaretten, Telefonkarten, Chips, Chips, Chips - und ein Restaurant.
Ich genehmige mir einen Hamburger und fotografiere die Köchin vor der Stätte ihres glorreichen Wirkens.
Dann mache ich mich gesättigt und frohgemut auf den Weg, nur um drei Kilometer später beinahe vom Rad zu fallen, als es in einer Kuve den (fast platten) Vorderreifen beinahe von der Felge zieht. Aha, der „Materialfehler“ von heute morgen war eine Fehldiagnose.
Als ich den Schlauch ausgebaut und aufgepumpt hatte, um das Loch zu finden, hat der Ohrentest schon genügt (der feinere und aufwändigere Lippentest war gar nicht erst nötig). Gleich an drei Stellen hat es gezischt. Die Gegenprobe an den fraglichen Stellen des Reifens ergab, dass es hier offenbar Artverwandte der „Goatheads“ (Dornen von Kakteen) gibt. Ich habe 5 Mini-Stacheln aus dem Mantel gezogen. FÜNF! Ein Schwalbe Marathon Plus hätte diese lästigen Piekser weggesteckt wie nix! Aber im amerikanischen Mantel gingen sie durch wie eine Nadel durch Luft und einen Schwalbe Marathon Plus kann ich in ganz Amerika nicht bestellen (jedenfalls sagt Amazon.com bei den zwei Lieferanten „vorübergehend nicht lieferbar“).
Also: Ersatzschlauch eingebaut, Reifen wieder montiert und mal vorsichtig auf 2 Bar aufgepumpt. Frühere Erfahrungen mit abgebrochenen Dornen IN der Lauffläche haben mich ziemlich nervös werden lassen. Bei dem folgenden akribischen Fühltest der Lauffläche bin ich nicht nur auf zwei (bisher nicht ertastete) Dornen sondern auch auf einen sauberen Schnitt quer über die Lauffläche gestoßen, der erst bei entsprechendem Luftdruck sichtbar geworden ist. Sieht aus, als wäre ich irgendwann über eine Rasierklinge gefahren. Kaum zu glauben, dass der Reifen überhaupt gehalten hat.
Damit war nicht nur der Schlauch sondern auch der Reifen im Eimer. Im Lager hatte ich noch EINEN Ersatzsschlauch und den 7 Jahre alten faltbaren Reifen, den ich als Notnagel IMMER dabei habe. Diese Kombination habe ich verbaut und sie muß mich jetzt noch rund 120 Kilometer bis Greenville bringen. Dort gibt es den nächsten Radladen.
Restaurant und Bastelstunde haben meinen Zeitplan gehörig durcheinander gebracht. Um 15:45 Uhr hatte ich noch 62 Kilometer bis zum Great River State Park vor mir. Um 18:30 beginnt es zu dämmern. Auf Highways ohne Pannenstreifen ist man als Radfahrer dann zum Abschuß freigegeben, Rücklicht hin oder her. Ohne weitere Panne hätte ich es wohl geschafft, aber wenn… Ein kurzer Blick ins Navi hat mir mitgeteilt, dass das nächste Motel 13 Kilometer vom aktuellen Standort entfernt ist. Ein Umweg, den ich morgen wieder zurück fahren muß, aber das macht nichts. Der Great River State Park wird noch einen Tag länger auf mich warten können.
Da fahr ich eh nicht rein in die Dornen!
AntwortenLöschenAch ja und wie willste denen ausweichen? TIPP: 2. von den Rändern befreiter Reifen zwischen Schlauch und Reifen!
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