Das Buch zur Tour (ANKLICKEN)

22. September

Cairo, IL - Samburg, TN

Tages-Km: 120
Gesamt-Km: 2.443
Streckenprofil: wellig / hügelig
Wetter: regerisch, bedeckt, leicht bewölkt
Temperatur: 18 / 29° C



Die Brücke

Um 06:45 Uhr sitze ich auf dem Rad. Nur weg von hier. Etwa zwei Kilometer südlich von Cairo mündet der Ohio River in den Mississippi River. Der Route folgend muß ich den Ohio River überqueren. Am anderen Ufer wartet Kentucky auf mich.


Das Problem ist die Brücke. Sie ist sehr schmal und sehr stark befahren. Keine Shoulder, keine Buchten zum Ausweichen, dafür viele viele Trucks.

Quelle: Google Maps

Ich will dieses gefährliche Nadelöhr möglichst schnell hinter mich bringen. Aber der Hunger bremst meinen Elan schlagartig, als ich ein Restaurant entdecke, das Frühstück serviert. Mit leerem Magen darf man nicht in Kentucky einreisen. Kaum habe ich den ersten Schluck Kaffe getrunken und meine Geschichte zum zweiten Mal erzählt, warnen mich Gäste und Angestellte vor der Brücke: „Be careful! This bridge is very narrow and extremly dangerous.“

Ich nehme mir vor, mitten auf meiner Fahrspur zu bleiben, damit nur ja kein Verfolger in Versuchung kommt, sich bei Gegenverkehr an mir vorbeizuquetschen. Das Gehupe wird nervig werden, aber es wird nicht weh tun. Dann betritt Bud Winkler das Restaurant. Zu dem Zeitpunkt weiß ich natürlich seinen Namen noch nicht, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass er das Restaurant betritt. Der Wirt erzählt ihm sofort meine Geschichte und sagt: „Bud, why don’t you give this gentleman and his bike a ride over the bridge?“ „Sure“, sagt Bud, gibt mir die Hand, stellt sich vor, macht auf dem Absatz kehrt, geht mit mir zu seinem Pickup und fährt mich nach einer kurzen Sightseeing-Tour zum "Fort Defiance State Park" über die Brücke. (Bud ist der rechte der beiden Herren.)


Nachdem ich mit eigenen Augen gesehen habe, was mir da erspart geblieben ist, war ich heilfroh, dass ich das Angebot angenommen habe. Hätte ich gewußt, wie es NACH der Brücke weitergeht, hätte ich Bud gebeten, mich zu erschießen. Na ja, vielleicht nicht gleich erschießen, aber so in dieser Richtung.


Ein Tag in Kentucky

Nach Minnesota, Wisconsin und Illinois (die kurzen Abstecher nach Iowa und Missouri zählen nicht) ist Kentucky der vierte Bundesstaat dieser Tour. Nur rund 100 Kilometer führt der Mississippi River Trail durch den südwestlichen Zipfel Kentuckys, dann folgt schon Tennessee, das ich heute erreichen will.

Das Bild täuscht! Ich habe lange warten müssen, bis tatsächlich einmal keine Autos das Bild versaut haben.


Das ist der Normalfall.


Was auf dem Bild NICHT zu erkennen ist: rechts von der weißen Fahrbahnbegrenzungslinie sind tiefe Rillen, die "rumble strips" in den Asphalt gekerbt, damit Schlafwandler aufwachen, bevor sie die Böschung hinunter donnern. Die schmale Shoulder ist wegen der rumble strips nicht zu befahren. Eine 15 Kilometer lange Corrida der Dämonen. Ich fahre die meiste Zeit auf dem Schotter rechts von der Shoulder und muß dabei höllisch aufpassen, nicht im Straßengraben zu landen. Aber ich ende lieber mit ein paar Abschürfungen im Straßengraben denn als bayrischer Roadkill.

In Wickliffe wird es heller, doch nicht ganz (Dieses Zitat ist allen Fans der Ersten Allgemeinen Verunsicherung gewidmet). Der eine Teil der Trucks biegt links ab, der andre Teil bleibt mir treu. Erst zehn Kilometer später habe ich nach einem erneuten Kurswechsel alle Dämonen abgeschüttelt. Der Kontrast ist kaum zu fassen. Vom Inferno der dröhnenden Dieselaggregate werde ich direkt in den Dschungel verfrachtet. Die Vegetation ist üppig hier. Das gierige Grün holt sich spielerisch zurück, was ihr der Mensch mühevoll abgerungen hat.




„Volks“ ist vom „Volkswagen“ noch übrig geblieben.

In Columbus, Kentucky lege ich eine kurze Pause ein. Columbus wäre beinahe Washington geworden. Der große Thomas Jefferson hatte seinerzeit vorgeschlagen, die Hauptstadt der Nation in das zentral gelegene Columbus zu verlegen. Mit dieser Meinung war er nicht allein. Auch eine Reihe führender Politker vertraten die Auffassung, die Hauptstadt solle möglichst zentral liegen. Das Unterfangen scheiterte an einer einzigen Stimme! Columbus war damals übrigens nicht an der Stelle, an der es heute ist sondern noch direkt am Ufer des Mississippi River. 1927 zerstörte eine verheerende Flut die Stadt. Das schrieb "The Mountain Eagle Newspaper" damals:

“The flood hit just after 11 o'clock Sunday night, and within a few minutes the whole camp of the Consolidated Fuel company was under water. The house in which Brent Breeding and his family were living was swept against the railroad trestle and then crushed to pieces. Not a plank of it is to be seen there now. All of the members of the family were saved except a five-year-old girl. The body has not yet been recovered.“

Um derartige Katastrophen in Zukunft zu vermeiden, ist die ganze Stadt eine Etage höher gezogen.

Ich zähle Columbus zu den sterbenden Städten. Wäre da nicht der berühmte „Belmont Statepark“, wäre es wohl schon tot und alles würde so aussehen wie das zugewachsene Haus und der VW Käfer von vorhin.

Als ich diese ausgedienten Zapfsäulen...


... fotografiere, rufen mir von der anderen Straßenseite ein paar Männer zu, dass ich doch nach dem Tanken mal vorbei schauen solle. Bei ihnen wäre es wesentlich interessanter als hier bei der verrotteten Tanke. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Von rechts nach links: Shelton, Steve, Pete, Philip.


„We sit here all day and watch“, sagt Steve. Die Herren erinnern mich stark an die Herren aus „Asterix auf Korsika“. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, ist da die Frau es Korsen, die immer schweigt. Nur einmal sagt sie "JA!", was wie folgt kommentiert wird: "Sie ist immer noch schön, aber geschwätzig wie eine Elster." Ich lasse mich aber von Asterix-Profis (Oli?) gerne eines besseren belehren.

Die Vier von der Tankstelle gestatten mir, dass ich unser Gespräch mit dem Camcorder mitschneiden darf. Freut euch! Wer mehr als 50% versteht, gewinnt eine Pizza. Seit ich in Kentucky bin, verstehe ich die Leute kaum mehr. Ich fühle mich wie ein passabel deutsch sprechender Ausländer, der jahrelang in Hannover gelebt hat und jetzt in Passau Urlaub macht.

Die Straße ruft, heute will ich weit kommen. Noch schnell ein Stimmungsfoto von einem der unzähligen Naturfriedhöfe...


... und schon bin ich in Tennessee.


100 Kilometer wie nix vorbei; meine Form wird mit jedem Tag besser. Noch drei Jahre und ich kann mit dem Radlhans mithalten.

Kurz vor dem heutigen Etappenziel (Samburg, Tennessee) sehe ich zum wiederholten Male einen dieser "eingesponnenen" Bäume. Welcher wissende Leser kann mich und die übrigen nichtwissenden Leser erleuchten? Was ist das?


Derselbe Baum im Gegenlicht:



In Samburg finde ich ein hübsches und gemütliches Motel direkt am "Reelfoot Lake". Hier bleibe ich bis übermorgen. Zu schön, um gleich wieder zu verschwinden. Von hier bis Memphis sind es nur noch zwei bis drei Tagesetappen. Kein Grund zur Hektik.

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