Hannibal, MO - Pleasant Hill, IL
Tages-Km: 71
Gesamt-Km: 1.858
Streckenprofil: flach bis wellig (fellig?)
Wetter: leicht bewölkt
Temperatur: 15 - 24°C
Die Entdeckung der Langsamkeit
Gegenwind bremst. Massiv. Gegenwind schlaucht. Massiv. Gegenwind sondert schnell die Radler-Spreu vom Weizen. Mir hat der Wind heute 70 Kilometer lang ins Gesicht geblasen. Die ersten zwanzig Kilometer habe ich versucht, nicht unter 20 Km/h zu fallen. Bei Kilometer 20,5 mußte ich mich dann zwischen Über- und Nachgeben entscheiden. Kaum habe ich den verbissenen Kampf aufgegeben („Die 2 muß stehen!“), ging ein Panorama-Vorhang auf und ich sah mit einem Mal wieder mehr als die Spitze des Vorderrades. Zum Beispiel diese Straße.
Die gesamte heutige Etappe führt gut zehn Kilometer vom Mississippi River entfernt durch weites, offenes Farmland und entführt mich in menschenleere Siedlungen, die fast schon unheimlich wirken. (Seit gestern lese ich „Langoliers“ von Stephen King. Da verschwinden auch Menschen. Unheimlich.)
Das Post-Office von Kinderhook wurde in den Kreis der „Zehn originellsten Postfilialen“ von Illinois gewählt. Wer um alles in der Welt erfindet Schönheitswahlen für Postfilialen? Wie dem auch sei - diese 1-Zimmer-Postfiliale sieht wirklich sehr hübsch aus.
Dann fahre ich am Ortsschild von New Canton vorbei. Hier ist man stolz darauf, die einzige „Town“ im Landkreis zu sein.
Mehr Wenig, wie ich 300 Meter weiter feststelle. (Endgültig und vorübergehend) geschlossene Geschäfte, keine Menschen vor den Häusern, keine Autos auf der Straße, viele leere und verfallene Häuser. Halt! Dieses Haus ist bewohnt. Kaum zu glauben, aber wahr.
Alle Versuche, irgendwo auf der heutigen Etappe ein WLan zu finden, scheitern. Auch mein Mobiltelefon findet während der ganzen Strecke kein Signal. Digitale Welt ade! Hier regiert noch das analoge Zeitalter.
In Pleasant Hill muß ich mich entscheiden. Entweder noch einmal 55 Kilometer bis zur nächsten Chance auf Essen/Campingplatz/Motel radeln oder hier in Pleasant Hill auf dem „Great River Campground“ logieren. Es ist erst 13:35 Uhr! Hm… Nein, ich fahre keine weiteren 70 Kilometer bei Gegenwind, nur um dann im kleinen Bruder von „New Canton“ zu landen und hungrig und dumm aus der verschwitzten Wäsche zu gucken.
Von Butch (siehe gestrigen Blogeintrag) habe ich erfahren, dass es immer empfehlenswert ist, bei der Gemeinde (City Hall) nachzufragen. Die Dame ist äußerst freundlich und ruft auch sofort jemanden an, der zum Campingplatz fährt und für mich die Duschen/Toiletten aufperrt. Ich bin dort nämlich der einzige Gast. Ich bezahle 5$, erhalte eine ordentliche Quittung und radle die 1,5 Kilometer zum Campingplatz.
Der „Great River Campground“ ist eine Wiese mit einem Dusch-/Toilettenhäuschen. Im Schatten des einzigen Baumes schlage ich mein Zelt auf, dusche und warte, bis es dunkel wird.
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