Memphis, TN - Helena, AR
Tages-Km: 148 (100 davon Gegenwind)
Gesamt-Km: 2.799
Streckenprofil: flach
Wetter: sonnig
Temperatur: 15 / 25° C
Die allererste Hürde hätte ich beinahe nicht gepackt: Raus aus Memphis! Da eine Reihe von Leuten derartigen sachdienlichen Hinweisen interessiert sind, folgen einige Tipps zum besten Fluchtweg aus Memphis. Ich fasse mich so kurz wie möglich.
Der MRT Guide ist korrekt bis zum Martyr Park. Dann bietet er ZWEI Möglichkeiten: erstens in Fahrtrichtung RECHTS auf dem Gehweg neben den Fahrspuren entlang der I55 über den Mississippi River (nicht empfohlen, was ich doppelt unterstreiche) ODER zweitens am Ende des asphaltierten Radweges einfach weiterfahren bzw. Schieben und dann zwischen einer (weißen) Kirche und dem Flußufer auf einem Trampelpfad unter den beiden Brücken (Eisenbahn und Autobahn) hindurch, dann das Rad über die Böschung hoch schleppen und in Fahrtrichtung LINKS auf dem Gehweg über die Brücke laufen (empfohlene Variante, was ich doppelt unterstreiche).
Das Problem: der Trampelpfad unter den beiden Brücken hindurch ist derart zugewuchert, dass ohne Machete kein Durchkommen ist. Ich war froh, dass ich das Rad noch umdrehen und wieder zurück schieben konnte. Es folgt MEINE empfohlene Variante, die sich ab dem EH Crump Park (das zweite Grün südlich der Brücke. Hier ist auch das im Guide beschriebene Super 8 Motel) wieder mit der offiziellen Route trifft. Nicht erschrecken! Man muss etwa 100 Meter auf der Standspur der Interstate 55 fahren. Anders geht’s nicht. Dann folgt aber gleich die nächste Ausfahrt, dann unter der Autobahn durch, rechts in den EH Crump Park, die Böschung hoch schieben und durch die kleine Lücke zwischen Zaun und Nicht-Zaun auf den Gehweg (southbound) der I55 schlüpfen. Dann die Ohrenschützer aufsetzen, die Luft anhalten, die Nerven stählen und auf einer zitternden und wankenden Brücke bei donnerndem Gegenverkehr die 1 Kilometer lange Brücke überqueren. Anschließend sofort links die Böschung runter, Rad über 40 Zentimeter hohen Zaun heben und wie im Guide beschrieben rechts auf die Straße und weiter…
Kurz danach folgt die zweite Neuerung bzw. Änderung. Laut Guide müsste man noch einmal für rund 1,5 Kilometer auf der Standspur der Interstate 55 fahren und bei der Ausfahrt 3a wieder runter. Dieses Stück Autobahn kann man sich sparen und die Strafe dazu, die fällig wird, falls einen die Polizei erwischt. Radler haben auf Interstates nichts verloren. Zu Recht. Ich war nach der Brücke reif für die Insel. Die neue Route ist zwar ein grausiger Ackerweg, an dessen Ende ein verschlossenes Gatter auf den motivierten Radler wartet. Aber das ist der offiziell ausgeschilderte Weg und trotz der Unbill tausendmal besser als die Interstate. Das Gatter lässt sich nicht öffnen, aber umgehen (rechts). Ich mußte nur den Anhänger abkuppeln, um ihn und das Rad (samt Vordertaschen) um die Eckpfosten des verschlossenen Gatters zu zirkeln. Irgendwo ganz in der Nähe ist ein Tier vor sich hin verwest. Die paar Minuten, die ich gebraucht habe, um das Gatter zu umgehen, waren die Hölle.
Die ausgeschilderte Route sieht dann - im Gegensatz zu der im Guide beschriebenen Variante - so aus:
Ein Tag in Arkansas
Dieses Schild war mitten auf der Todesbrücke.
Damit keine Missverständnisse aufkommen. Gefahr bestand zu keinem Zeitpunkt, weil Fahrbahn und Gehweg durch eine 1 Meter hohe Betonmauer sowie die zahllosen Stahlträger der Brücke voneinander getrennt sind. Aber wenn einem kolonnenweise Trucks mit 100 Sachen und 1 Meter Abstand in Metallica-Lautstärke an einem vorbeidonnern, dass die ganze Brücke nur so schwankt und zittert, geht das auf Dauer massiv an die Nerven. Jedenfalls an meine.
Dieser Acker ist Gold wert, weil er dem Radler 1,5 Kilometer Standspur AUF der Interstate erspart. Wie man das verschlossene Gatter am Ende überwindet, hab ich ja in den sachdienlichen Hinweisen schon beschrieben.
In West Memphis, Arkansas finde ich auch gleich ein „Great River Trail“ Schild, das ich zu den anderen Radler-Hirschgeweihen hängen werde.
Das Lachen ist mir allerdings schnell vergangen. Was habe ich auf dem Weg durch West Memphis geschimpft und geflucht über diese Dr… Mi… A….. Idi…. Irrsi…. Autofahrer, die mich teilweise mit 10 Zentimetern Abstand überholt haben. Einer war so dicht, dass der Luftzug fast wie ein kleiner Peitschenhieb war. An dieser Stelle herzlichen Dank an meinen Freund Armin, dem ich ein endloses in repetitiven Zyklen vor sich hin mäanderndes Repertoire an Flüchen, Verwünschungen und Beschimpfungen zu verdanken habe. Lieber Armin, ohne Dich wäre ich heute stumm an meiner Wut erstickt. Aber so konnte ich als radelndes Rumpelstilzchen durch West Memphis rasen und habe vermutlich Heerscharen verstörter Mütter und traumatisierter Kinder auf dem Gewissen. Andererseits - damit kann ich leben.
Ich habe mir während dieser sechs oder sieben Kilometer durch West Memphis nichts sehnlicher gewünscht als einen Basebalschläger und 5 Minuten Privataudienz mit jedem einzelnen dieser Dr… Mi… A…. Idi…. Irrsi…. Autofahrer. Was mir höchstwahrscheinlich nicht gut bekommen wäre, denn in den Autos saßen - ja, leider - fast nur dunkelhäutige Dr… Mi… A…. Idi… Irrsi… drin. Die Sorte, die bei 25 Grad die Kapuze aufsetzt und beim Gehen mit einer Hand die viel zu große Hose halten muß. Nun ja, viele dieser Kapuzen Dr… Mi… A… Idi… Irrsi… füllen Hose und Jacken im Gegensatz zu den deutschen Teenagern wenigstens aus. Wenn ich so durch Altötting laufe, möchte ich manchmal die wandelnde Kleidung zur Polizei bringen und eine Vermißtenanzeige für den Inhalt aufgeben.
Nichts Schlechtes ohne Gutes. Die Dr… Mi… A… Idi… Irrsi… haben mich auf eine Idee gebracht. Vorgeschichte: In Altötting gibt es ein Kapuzinerkloster. In der Kloster-Kirche, der „Bruder-Konrad-Kirche“ habe ich vor einigen Jahren zu meinem Entzücken festgestellt, dass die Brüder Konrads überraschend modern sind. Sie bieten eine besondere Form von Outsourcing an. Das nenne ich modern! Konkret geht es um Gebetsgutscheine, die übrigens in verschiedenen Farben erhältlich sind. Ob müder Pilger, gestresster Manager oder einfach nur ein Japaner mit 7,3 Minuten Aufenthalt, bevor der Bus nach Heidelberg weiter fährt - schnell den Namen, evtl. noch das Problem sowie das gewünschte Ergebnis auf den Zettel geschrieben und in die Sammelbox geworfen. Voila! Schon beten die Profis anstelle der gestressten Menschen. „Lasset uns beten“ ist out, „Lasset beten“ ist in.
Dieses geniale Konzept würde ich gerne mit leicht angepasster Zielsetzung anwenden. Ich wünsche mir Gutscheine für Verfluchungen! Mein Bruder Konrad steht fest: Bruder Armin, ein Verwünschungsprofi vor dem Herrn. Ich werde ab jetzt fleißig alle Nummernschilder der „Road Jerks“ notieren und Dir per Mail zuschicken. Ab dann zwackst Du von Deinen Schimpftiraden immer - sagen wir 30 Sekunden? - ab und verfluchst die Halter der Nummernschilder. Ich denke, Halterhaftung ist hier vertretbar. Deal?
So, nachdem ich das jetzt los bin (auch in die Videokamera habe ich heute schon ausgiebig geflucht), kann ich mich wieder um den Rest der heutigen Etappe kümmern. Im Augenblick sind wir nämlich erst bei Kilometer 27.
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Mal was andres: Schweine als Gartenzwerge.
Gut, dass ich mal wieder Plan A, B und C dabei hatte. Viele der Lebensmittelläden haben dicht gemacht. Wenn dir mitten im Nirgendwo das Wasser ausgeht, ist Schluss mit lustig.
Ich war gespannt auf den „Horseshoe Lake“ (Hufeisen See), ich glaube den einunddreißigsten Horseshoe Lake seit dem Tourstart am 08. August. Leider herrschten am Horseshoe Lake Nr. 31 Starnberger Verhältnisse: jeder Meter Ufer ist in Privatbesitz. Unter Androhung unvorstellbarer körperlicher Qualen ist alles verboten: Betreten sowieso … und „Hinsehen kommt nicht in Frage“ … und „wehe wenn … wir hetzen Dir… und schießen“ … „Polizei, Polizei! Schnell, ein Hinseher!“ …. und überhaupt: VERSCHWINDE FREMDER. DIESER ANBLICK GEHÖRT UNS!
Ja, haben die Leute denn ihren Woody nicht gehört? “…From the Red Wood Forest to the Gulf Stream waters, this land was made for you and me”. Und wo fahre ich hin? Eben! Ein Anwesen war so riesig, dass es jederzeit als Jagdrevier durchgehen könnte. Da bin ich dann doch schnell zum See gehuscht.
Das mit den vielen Horseshoe Lakes hat mich interessiert. Im Radführer habe ich auch immer wieder etwas von sogenannten „Oxbows“ gelesen. Also habe ich ein wenig recherchiert. www.leo.org hat mich aufgeklärt, dass das „Altwasser“ bedeutet. Wer von der Leserschaft (außer den Amerikanern) hat das gewußt? IiichIiiichIiiich, oder?
So, und woher kommen die Oxbows und Hufeisen-Seen? Der Mississippi River hat im Laufe seines Lebens zig Mal seinen Weg geändert. Insbesondere bei Hochwasser ist es schnell passiert, dass der Fluss - dem Weg des geringsten Widerstandes folgend - eine Schleife kurzerhand ignoriert und die Abkürzung nimmt.
Der Mississippi River transportiert Unmengen an Schlamm hinunter in den Golf von Mexiko. Manchmal verschließt dieser Schlamm den bisherigen Flußlauf, nachdem er sich eine schöne neue Abkürzung in die Landschaft gefräst hat. Der abgetrennte Teil trocknet entweder aus - oder er wird zu einem „Oxbow“.
Das ist ein vergrößerter Ausschnitt der Gegend, durch die ich heute gefahren bin.
Das in der Mitte ist MEIN Horseshoe Lake. Die drei „Oxbows“ lassen den ehemaligen Lauf des Mississippi Rivers sehr gut erahnen.
Durch Hochwasser oder geologische Ereignisse (z.B. Erdbeben, Absenkungen), die den Flußlauf geändert haben, sind blühende Städte innerhalb weniger Jahre zu Geisterstädten geworden und neue, florierende Städte wie Pilze aus de Boden geschossen. In der Zeit VOR den Autos und VOR den Zügen waren Schiffe die roten Blutkörperchen und der Mississippi River ihre Lebensader. Dann kamen die Züge und haben die Schiffe aufgefressen, bis sie selbst wiederum - die Personenzüge jedenfalls - von den Autos aufgefressen wurden.
Was ist das?
Richtig, Baumwolle. Mindestens 100 Kilometer bin ich heute zwischen endlosen Baumwollfeldern hindurch geradelt. Weil ich das so beeindruckend finde, müßt ihr euch noch ein-einhalb weitere Bauwollbilder angucken:
Bild 1:
Die Baumwolle im Hintergrund ist zwar kaum zu sehen, aber trotzdem da. Außerdem sieht der Baum ohne Wolle und im Vordergrund gut aus.
Ich liebe solche Kreuzungen (Nörglern sei gesagt, dass es hinter mir genau so aussieht und es eine Kreuzung, ein „X“ und kein „V“ ist.
Wenn nichts los ist, stelle ich mich mitten in den Kreuzungsschnittpunkt, breite die Arme nach Titanic-ich-fliege-Art aus und mich solange mit geöffneten Augen im Kreis, bis ich mich hinsetzen muß, um nicht umzufallen. Ich glaube, 3-jährigen gefällt so etwas auch sehr gut. Entweder hält Radfahren durch die USA sehr jung oder es scheint doch nicht ganz ohne Nebenwirkungen abzugehen.
Bei Kilometer 125 mußte ich feststellen, dass der Vorderreifen Luft verliert. Ausgerechnet bei dieser langen Etappe! Mit vier Mal nachpumpen habe ich es aber doch noch bis nach Helena geschafft. Die Problemlösung habe ich auf morgen früh vertagt.
Zum Schluss noch ein Stimmungsfoto...
... und dann ist Feierabend für heute. Es ist 23:22 Uhr Ortszeit. Ich bin hundemüde. Laut Navi bin ich heute 7 Stunden und 38 Minuten geradelt ("moving time"). Macht bei 148 Kilometer einen Schnitt von 19,3. Bah. Sch… Gegenwind.
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