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16. September

Pleasant Hill, IL - Grafton, IL

Tages-Km: 86
Gesamt-Km: 1.944
Streckenprofil: flach, hügelig, sehr hügelig, verdammt hügelig
Wetter: sonnig
Temperatur: 13 / 23° C


Kevin allein zuhause

Um 07:45 Uhr betrete ich das einzige Restaurant in Pleasant Hill und freue mich auf ein ungesundes Frühstück. Es muß lange vorhalten. Wenn ich den Gegenwind ins Kalkül ziehe, noch länger.


Ich setze mich direkt neben den Männer-Stammtisch, wo man sich angeregt, aber zivilisiert unterhält. Am anderen Ende des Restaurants tost der Frauen-Stammtisch. Stammtische morgens um 07:45 Uhr! Wieder was dazu gelernt.

Der Männerstammtisch besteht aus drei Ottfried Fischers und einem Karl Valentin. Der Dünne ist Truckerfahrer. Was die Ottis tun oder nicht (mehr) tun, erfahre ich nicht, weil hauptsächlich der Dünne redet. Einer der Ottfrieds verfügt nicht nur über die Körperfülle sondern auch über die Spritzigkeit des Originals. Wenn er seinen Blick zwischen Karl und den anderen Ottfrieds hin und her wandern lässt, ist es, als würde er nach 72 Stunden ohne Schlaf aus vier Kilometer Entfernung einem Tennismatch der Kreisliga zusehen.

Das Telefon läutet. Die Wirtin hebt ab, spricht kurz, lacht und ruft in Richtung Frauen-Stammtisch ans Telefon „Nora!“ Nora ruft zurück „Husband?“. „You bet!“ ruft die Wirtin und der Frauenstammtisch prustet vor Vergnügen. Nora geht kopfschüttelnd ans Telefon, lauscht 0,3 Sekunden und sagt „Kevin. KEVIN! It IS’s there. It’s IN the Refrigerator. It’s ALWAYS in the refrigerator. It’s NEVER EVER anywhere else… Yes… no, look under.. NO! UNDER the … yes…NO, gosh KEVIN!”

Zwei Minuten später eilt Mary Jean an den Apparat, um ihrem hilflosen Ernährer das Leben ohne Frau zu erklären. Herrlich! Die Welt ist ein Dorf. Kaum sitzen die Frauen in der Wirtschaft, verhungern die Männer zuhause vorm vollen Kühlschrank. Eine psychische Variante von Bettnässen.


Norddeutschland und Südbayern in Illinois

Belustigt und gesättigt mache ich mich auf den Weg. Nach 30 Kilometern, null Steigung und viel Gegenwind erreiche ich Hamburg. Hamburg am Mississippi River.


Neben dem Dorfplatz sehe ich ein außergewöhnliches Vogelhäuschen und erwäge kurz, dem Landrat von Illinois vorzuschlagen, in Zukunft nicht nur für Postfilialen sondern auch für Vogelhäuschen Schönheitswettbewerbe durchzuführen. „Miss Hamburg“ wäre jedenfalls mein Favorit.


Überall erzählen mir die Leute, dass hier (und HIER ist mittlerweile so ziemlich überall; jedenfalls auf dem Land) niemand irgend etwas zu- oder versperrt. Der mir unbekannte Bauer Frank Websters hat mitten im Nirgendwo Gemüse ausgelegt. Auf kleine Zettel ist der jeweilige Preis gepinselt und der Kunde wirft das Geld in die „Drop Box“.


Mit der Ebene ist es übrigens schon längst vorbei. Seit Hamburg (HAMBURG!) wird es zunehmend hügeliger. Kurze, giftige Steigungen (10% - 15%), gefolgt von einer ebenso steilen und kurzen Abfahrt, gefolgt von …

Alles in allem schmeckt die Landschaft oberbayrisch. Wären die Hügel ein klein wenig flacher, könnte ich hier genauso gut auf dem Weg von Obing nach Rosenheim sein. Statt Star City, Kritesville und Batchtown stünde auf Ortsschildern dann eben Unterhöslwang, Zunham und Almham.

Die Hügel nagen schlimmer an meinen Oberschenkeln als die Nordsee an Sylt. Da hilft auch die Erkenntnis nichts, dass es mindestens die Hälfte der Strecke bergab geht. Aber schieben gilt nicht. Wie der Radlhans so schön gesagt hat: „Never surrender!“ Manchmal ist es ein Fluch, ein echter Mann zu sein. Als Frau würde ich jetzt irgend jemandem irgend etwas vorwerfen und im Wissen, den Schuldigen gefunden zu haben, schmollend warten, bis irgend jemand alle Hügel abträgt und einen flachen Radweg mit pinkfarbenem Mittelstreifen in die Landschaft teert.


Witzbolde, Schlangen und Hunde

Dieses Schild, neben einer Hofeinfahrt angebracht, lässt entweder auf ein gerüttelt Maß an Selbsterkenntnis oder eine gesunde Portion Humor schließen. Oder Beides. Jedenfalls nicht auf Hühner.


Wer um Himmels willen wohnt in diesem Haus?


Alles sieht ordentlich aus, keine vergilbten Rechnungen im Briefkasten, der Rasen frisch gemäht. Ich falle vor Schreck fast vom Rad, als ich in Brussels an dem Totenschädel vorbeifahre, der auf Augenhöhe im Wind baumelt. Das Artefakt passt zu diesem Haus wie ich ins Ballet.

Heute hätte ich beinahe die erste Schlange überfahren. Bergab, klar. Da kann man ja so gut bremsen. Das Tier war schwarz, vielleicht 1 Meter lang und quer über die Fahrbahn ausgestreckt, die ersten 20 cm aufgerichtet. Erst im letzten Augenblick habe ich sie wahrgenommen. Zum Denken war keine Zeit und das reflexartige Ausweichmanöver hat so eben noch geklappt. Aber der Schreck saß, mein lieber Schwan.

Auch von Hunden gibt es Neues zu berichten. Klar, ich bin ja durch ländliches Gebiet geradelt. Mein Antihundenwaffenarsenal ist 3-stufig. Stufe 1 ist die verbale Zurechtweisung. Hilft sie nichts, folgt die Ultraschallohrfeige. Ultima ratio wäre die Pfefferspray-Keule. Konjunktiv, weil ich sie (noch) nicht gekauft habe. Aber von meiner ersten USA-Reise weiß ich, dass es in den Südstaaten ziemlich schlimm ist. Mein Motto: Sobald der Hund SEIN Territorium verlässt, bedroht er MEINES und ich schlage zurück. Habe ich im Garten des Herrchens etwas verloren? Nein! Hat der Hund auf der Straße etwas verloren? Nein! Im Nachhinein werde ich sagen: "Er hat es herausgefordert. Alle fordern es immer heraus."

Bei der verbalen Zurechtweisung versuche ich alle möglichen und unmöglichen bayrischen und englischen Schimpfwörter, Drohungen und Flüche. Am besten funktioniert bisher der running gag aus dem YouTube Video „Achmed, the dead Terrorist“. I KILL YOU!

Als ich in Grafton am Hotel „Reubel“ vorbei komme, entscheide ich spontan: Jetzt ist Schicht im Schacht. Bis St. Louis komme ich heute unter keinen Umständen mehr und morgen in jeden Fall.


3 Kommentare:

  1. Gerade lese ich in der SZ: "Ein Drittel aller Schwarzbarsche und ein Fünftel aller Forellenbarsche in den USA zeigen Anzeichen einer Geschlechtsumwandlung. [...] Die Wissenschaftler fingen ihre Untersuchungsobjekte an verschiedenen Stellen [...] des Mississippi, [...]. Eine wichtige Ursache dieses Phänomens sind nach Ansicht von Jo Ellen Hinck, die die Untersuchung geleitet hat, Chemikalien, die über Abwässer in die Flüsse gelangen."
    Hermann! Raus aus dem Wasser! (Andererseits ließe sich so der Frauenmangel in Hanibal beheben)

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  2. Hermann, raus aus dem Wasser!!!!
    Deine Frau!

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  3. Never surrender? Da fällt mir sofort das hier ein: http://www.youtube.com/watch?v=bI5hi4c4y9k


    :-D

    Hermann, ich denk an den Preleberkässemmeldorfberg und leide mit Dir. Denk dran, Du bist nie allein, Du hast uns hier und... einen Anhänger! :->

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