Quad Cities Airport, IL - Keithsburg, IL
Distanz: 96 Km
Streckenprofil: flach /leicht wellig
Wetter: sonnig / leicht bewölkt
Temperatur: 16 / 27° C
89 Kilometer lang weder Restaurant, Laden noch Tankstelle. Also decke ich mich gleich zu Beginn in einem Wal Mart Superstore mit 6 Litern Wasser und jeder Menge Brotzeit ein und mache mich im Turbotempo auf den Weg. Erstmals auf dieser Tour bin ich alleine unterwegs. Meine Melancholie passt zur verschwiegenen Landschaft. Nach dem Radlerparadies „Great River Trail“ und dem Ballungszentrum „Quad Cities“ ist schon nach 5 Kilometern alles anders. Farmland - und sonst nichts.
Der Mississippi River Trail folgt wieder der Great River Road. Ich fahre durch einige angehende Ghost Towns. Viele Häuser sind verlassen, was aber oft erst auf den zweiten Blick zu sehen ist. In der Einfahrt stehen Spielzeug, Räder oder Getränkekästen. Post quillt aus dem Briefkasten, Zeitungen liegen auf der Treppe, zuviel Unkraut im Garten, die Schaukel im Hof ist rostig und quietscht beleidigt. Wäre da nicht das ein oder andere eingeschlagene Fenster, könnte man meinen, hier wohnt noch jemand.
Verlassene Häuser sind ein idealer Rastplatz, weil sie fast immer einen Sitzplatz im Schatten bieten und ich keine hysterischen Hunde niederbrüllen muß. Wenn ich auf den Stufen dieser Zombie-Häuser sitze, rätsle ich, wer hier gelebt hat und warum jemand alles liegen und stehen lässt, die Türe hinter sich schließt und auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
Ich war gespannt auf „Illinois City“. Klingt doch nach was, oder etwa nicht?
Tja, das IST Illinois City. Jedenfalls 70% davon. Die restlichen 30% sind das Haus und der Brunnen hinter mir.
Ich wollte heute mindestens bis Keithsburg kommen, wo laut Guide das pralle Leben wieder blüht: Motel, Campingplatz, Lebensmittelgeschäft und Restaurants. 13 Kilometer vor Keithsburg preist ein Schild den Campingplatz als einzige Attraktion von Keithsburg an, was mich dann doch ein wenig bedenklich stimmt.
Eine halbe Stunde später sehe ich es mit eigenen Augen: Keithsburg ist so lebendig wie Tutanchamun. Auf dem Campinplatz muß ich erst ein paar Angler fragen, ob und wenn ja WO es hier jemanden gibt, bei dem man sich registrieren kann. „The second to last Trailer on the left“ rufen sie mir zu. “There is a big white sign”. Richtig, am vorletzten Wohnwagen ist ein Schild “Office”, A3 und so weiß wie die Vorher-Zähne eines Vorher-Nachher-Werbeplakats für Zahnheilkunde. Neben dem Trailer ein Hund, der aussieht wie eine fette Ratte und hysterisch bellt. Neben der bellenden Ratte ein weiteres Schild: „Barking dogs are not tolerated at this campground!“ Wieder einmal denke ich an Siegfried Zimmerschied: “Die Satire kann die Realität niemals einholen.” Die Kinder sind wieder in der Schule. Jetzt ist die Zeit der Hunde angebrochen. 7 $ kostet die Nacht. Es gibt Duschen und sie sind warm. Alles andere an ihnen und dem Rest der sanitären Anlagen will ich nicht näher beschreiben.
Keithsburg hat einen Ruhepuls von 37 und ungefähr genau so viele Einwohner. Zwei von drei Geschäften stehen leer oder sind Bauruinen. Man muß allerdings wissen, dass hier vor zwei Jahren eine fürchterliche Flut den halben Ort unter Wasser gesetzt hat. Und das nicht zum ersten Mal. Kein Damm und die Stadt liegt vielleicht ein bis zwei Meter höher als der Mississippi River. Ich finde eine Bar, die neben kühlem Bier auch kleinere Speisen zubereitet. Der Wirt zeigt mir ein Foto, auf dem nur das erste Stockwerk aus dem See ragt, der Mississippi heißt. Er hat in monatelanger Arbeit seine Kneipe wieder restauriert und sogar ein WLan für seine Gäste eingerichtet. Aus irgend einem Grund hat er das System von OFFEN auf PASSWORTGESCHÜTZT umgestellt und kann jetzt nicht mehr an das Passwort erinnern.
So wandere ich also nach dem Essen mit dem offenen Notebook in der Hand durch die Metropole, bis ich ein offenes WLan finde. Wo? Auf dem Kinderspielplatz. Wo genau? Direkt neben dem Karussel. Wer ausser mir ist da? Kinder. Wo genau? Auf dem Karussel. Was tun sie? Brüllen sich die Seele aus dem Leib, wärend die Mütter rauchen und sich ebenfalls die Seele aus dem Leib brüllen. Hunde oder Kinder. Fehlen beide, testet jemand seine neue Kettensäge oder übt sich im Blechhämmern. Lärm ist mein Karma.
Leute, für diesen Blogeingrag habe ich soviel gebüßt, dass ich mindestens 4 Reinkarnationen überspringen darf.
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