02. September

Galena, IL - Savanna, IL

Distanz: 52 Km

Streckenprofil: erst Hölle, dann Fegefeuer

Wetter: sonnig/leicht bewölkt

Temperatur: 10/23° C

Auf dem Weg zum Frühstück in Galena ist mir ein Oktoberfest-Plakat aufgefallen.

Offenbar begibt sich Ende September halb Amerika zusammen mit München für gut zwei Wochen ins intellektuelle Zonenrandgebiet. Halt! Das ist ungerecht. Amerikanische Oktoberfeste verhalten sich zum Münchner Original wie der Kindergeburtstag zum Bürgerkrieg. Komasaufen in München, Polka-Tanzkurse in Galena. Moment, Polka? Wieso eigentlich Polka? Aus irgend einem unerfindlichen Grund glauben Amerikaner, dass die Deutschen (ALLE) zur Oktoberfestzeit immer (IMMER) nur (NUR) Polka tanzen. Im Abschluß-Tanzkurs der Realschule Altötting habe ich bei der Tanzschule "Mutter" (es gibt sie immer noch) tatsächlich gelernt, wie man Polka tanzt. Aber das war 1975! Damals war Farbfernsehen noch so neu, dass wir vor lauter Begeisterung das Testbild angegesehen haben. Für die jüngeren Leser folgen ein paar Rätsel des Tages:

1. Was ist ein Testbild?
2. Wer waren Fury, Lassie und Flipper?
3. Wie konnten Jugendliche ohne Fernseher, Computer, DVD-Player, Playstation, Palmtop, Handy, Mofa sowie Mütter ohne Führerschein überleben?

Aber ich schweife ab und Oli grinst zuhause im Münchner Westend wieder über's ganze Gesicht. Dir wird das Lachen noch vergehen, mein Lieber! Bald bricht in Deinem Viertel wieder der Bürgerkrieg aus.

Eine regionale Zeitung in Illinois hat mit Nachdruck für das Oktoberfest in Galena geworben und verkündete stolz und in großen Lettern, dass man für das diesjährige Oktoberfest extra eine Musikkapelle aus Berlin organisiert hat. Aus Berlin? Das hätte ich zu gerne erlebt: Der Leiter der Kapelle - Lederhose, Haferlschuhe und Gamsbart-Hut - ruft nach einem besonders gelungenen Tubasolo ins Mikrofon: "Ey Leute, det wa Atze an der Basströte. Nu lass't awa ma wat höan, ey!, hebt den Styropor-Mass-Becher und stimmt an "Eeeens, zweeee...."

Berliner, die in Amerika so tun, als wären sie Bayern. Die Zukunft ist ein Abgrund. Nichtsdestotrotz: hier die offizielle Homepage des Oktoberfestes 2009 in Galena, Illinois.

Zurück zur Tagesetappe. Wieder sind wir erst spät (12:30 Uhr) los gefahren. Grund: in Galena gibt es sooooo viele hübsche Läden, die gestern alle schon um 17:00 Uhr zu- und heute erst um 10:00 Uhr aufgemacht haben. Würde Angie nicht nächste Woche zurückfliegen, müsste sie sich mit Sicherheit auch einen eigenen B.O.B.-Trailer kaufen.

Die heutige Strecke bestand aus Hölle (Steigungen) und Fegfeuer (Straße ohne "Shoulder"). Gleich zu Beginn Hügel, Hügel, Hügel, Hügel, Hügel ... Hügel, dann eine laaaaaaange und zunehmende Steigung. Wer jemals mit mehr als 35 Kilo Gepäck Steigungen von mehr als 10% geradelt ist, spürt beim Anblick solcher Schilder Phantomschmerzen. Das Schild zeigt natürlich den Blick ZURÜCK.

Dank des vielen Trainings sank meine Herzfrequenz schnell wieder auf die eines Kolibris. Am Fuße des Hügels war von den 15% nichts zu lesen. Kein Bild mit einem aufwärts fahrenden Laster, keine psychologische Beratungsstelle, keine verrosteten Fahrräder mit menschlichen Skeletten, die vergilbte Abschiedsbriefe in knöchernen Fingern halten. Nichts von alledem. Stattdessen Natur pur und heimtückische Allgäu-Idylle.

Ich habe zwar keinen Meter geschoben, wäre damit aber vermutlich schneller oben gewesen. Angie hat mir vor vielen Jahren ein schönes Plakat geschenkt. Halt! Nicht das, auf dem zu lesen ist, dass Männer zwischen 30 und 40 zehn Kilo zunehmen. Das hat sie mir auch geschenkt, ja - ich weiß. Nein ich spreche von dem Bild, auf dem ein Sixpack (Mann, nicht Bier) im Schweiße seines Angesichts Schwerstarbeit verrichtet. Titel: "Schweiß fließt, wenn Muskeln weinen". An diesem Satz habe ich mich heute immer wieder aufgerichtet, wenn ich absteigen wollte. Wenn schon kein Sixpack, dann wenigstens nicht schieben.