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15. August

Little Falls - St. Cloud


Wir brechen früh auf. Gewarnt von den Erfahrungen des Vortages reserviere ich auf Verdacht ein Motelzimmer in St. Cloud. Sicher ist sicher. Dann stechen wir mit einem Fahrrad und einem Hochseetanker in See. Wir radeln entlang der „Great River Road“, die sich in diesem Streckenabschnitt eng an den Mississippi River schmiegt.

In der „Charles Lindbergh Historical Site“ legen wir einen Zwischenstopp ein, sehen einen Film über den großen Pionier an und genießen eine außerordentlich interessante und unterhaltsame Führung durch das originalgetreu restaurierte Sommer-Wohnhaus der Lindberghs. Wegen des schlechten Wetters habe ich den Fotoapparat gar nicht erst ausgepackt und greife hier auf ein Leihbild zurück.

(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_National_Historic_Landmarks_in_Minnesota)

Was wußte ich bis zu diesem Tag um 09:57 über Charles Lindbergh? Dass er als junger Mann den Alleinflug von New York nach Paris geschafft hat und sein zweijähriger Sohn entführt und später tot aufgefunden wurde. Ein Film samt Führung verleihen dem Phantom "Lindbergh" mit einem Mal Gestalt ich bin - wieder einmal - davon beeindruckt, was ein unbändiger Wille in Verbindung mit Ausdauer und einer guten Portion Talent bewirken kann.

Mit diesem 1916 SAXON hat der 14-jährige (!) Charles seine Familie in 40 Tagen nach Los Angeles chauffiert und während dieser Reise mit einfachsten Werkzeugen mehr Reparaturen ausgeführt als mancher Mechaniker in seinem Arbeitsleben.


Man bedenke: der Motor dieses Gefährts war schwerkraftabhängig. In der Ebene und bergab kein Problem. Bei Steigungen jedoch fließt das Benzin der Schwerkraft folgend nach hinten und dem Motor geht der Saft aus. Wie fährt man nun mit einem solchen Auto die Bergpässe der Rocky Mountains hoch? Im Rückwärtsgang. Nicht zur Nachahmung empfohlen, schon gar nicht für 14-jährige.

Unmittelbar nach dem Ende der Führung beginnt es zu schütten, als gäbe es kein Morgen. Wir können uns gerade noch unter ein Vordach retten, bevor der Platzregen alles unter Wasser setzt und die Sintflut zum Nieselregen degradiert. Nach 30 Minuten lässt der Regen allmählich nach, verkümmert schließlich zu einem leichten Nieseln und wir machen uns mit gedämpftem Optimismus wieder auf den Weg. Und was haben wir heute vergessen? Verpflegung einzukaufen. Das wird sich noch rächen.

Etwa 25 Kilometer später löst sich eine von zwei Schrauben des rechten vorderen Gepäckträgers in Luft auf (vermutlich lose gerüttelt und herausgefallen) und die schwere Packtasche (vorne habe ich ja noch welche) hängt beängstigend schief an einer einzigen dünnen Schraube. Alle mitgebrachten Ersatzschrauben erweisen sich als zu dick! Wieder was dazugelernt. Nächstes Mal dünne Schrauben einpacken, Rasierapparat zuhause lassen. Was nun? Ich inspiziere das Rad auf geeignete Schrauben, die an der aktuellen Position entbehrlich wirken und werde schließlich beim hinteren Gepäckträger fündig. Wegen des Anhängers ist er ja jetzt unnötig geworden und muß wirklich nicht mehr mit VIER Schrauben am Rahmen befestigt sein. Drei tun’s auch. In zwei Minuten ist der Lowrider wieder fest montiert und weiter geht die Fahrt mit ständigem Blickkontakt zum Mississippi River.

Wir bekommen Hunger und hoffen auf eines der vielen Lebensmittelgeschäfte, die bisher unseren Weg gepflastert haben. Nach weiteren 45 Minuten und mit knurrendem Magen werfe ich einen Blick in die Karte und könnte mich in den Hintern beißen: 55 Kilometer "without Service". Nichts, nada, zero. Ich habe ein einziges Snickers in der Lenkertasche, das wir halbieren und in einem (ich) bzw. fünfzehn (Angie) Bissen verzehren. Zu trinken haben wir genug; Wasser hat immer Priorität 1. Aber ausgerechnet heute haben wir zum ersten Mal nicht an die Brotzeit gedacht.

Dann setzt der Regen wieder ein, wird stärker und immer stärker. Der Himmel sieht aus, als hätte ihn Ludwig Hirsch an einem seiner besonders depressiven Tage erdacht. Es regnet in Strömen. Die Landschaft ist hügelig. In Senken durchpflügen wir knöchelhohe Pfützen, bergauf kämpfen schwimmen wir gegen die Strömung der spontan entstehenden Sturzbäche. Wetterbedingt gibt es keine Bilder von diesem Streckenabschnitt.

Weil es trotz der Sintflut sehr warm ist, wollen wir die wasserdichten Regenklamotten nicht anziehen und lassen uns stattdessen lieber bis auf die Knochen vom lauwarmen Regen durchweichen. Gut 30 Kilometer radeln wir in T-Shirt und Radhose durch strömendem Regen. Trotz wasserdichter Überschuhe spüre ich irgendwann, dass das in den Schuhen stehende Wasser bei jedem Tritt überschwappt: Links treten (schwapp), rechts treten (schwapp), links treten (schwapp) … Komisches Gefühl, aber nicht unangenehm. Zurück in Deutschland werde ich es patentieren lassen und deutschlandweit für teures Geld als "Aqua-Pedaling" vermarkten.

Kurz nach 17:00 Uhr erreichen wir das Gateway Motel in St. Cloud und ich verwandle die auf Kühlaustemperatur klimatisierte Rezeption des „Gateway Motels“ binnen Sekunden in den jüngsten See von Minnesota. Der Kerl an der Rezeption mit dem klangvollen Titel "Office Managter" braucht vier Jahre, drei Monate, neunzehn Tage, fünf Stunden, sechsundzwanzig Minuten und einundvierzig-komma-zwei-sieben Sekunden, bis er den letzten Stempel gestempelt und die letzte Büroklammer geklammert hat und mir endlich den Zimmerschlüssel in die schlotternde Hand drückt. Die hinter mir wartenden Kunden machen auf dem Weg zum Office Manager einen weiten Bogen um meinen See, der unter dem Einfluss der Klimaanlage bereits die ersten Anzeichen von Eisbildung zeigt.

Drei Sekunden nach dem Verlassen des Kühlhauses stehe ich unter der heißen Dusche und niese zum ersten Mal. Die weiteren Aussichten? Für morgen ist 70% Regenwahrscheinlichkeit angesagt. Und?

2 Kommentare:

  1. Ich werde nie begreifen, wie Ourdoorfreaks WASSERSCHEU sein könen. Ich hätt den Prassel in vollen Zügen genossen. Lieber nass geprasselt als nass geschwitzt!

    Aber dann lese ich zu meiner Freude ja doch noch: "Dann setzt der Regen wieder ein, wird stärker und immer stärker." und offenbar habt Ihr die warmen Fluten dann doch noch zu genießen gelernt..

    "Komisches Gefühl, aber nicht unangenehm." SIEHST DU!

    Beim Trike fahren ist das übrigens noch geiler, so der kluge Mensch auf diese unpraktischen SCHUTZBLECHE verzichtet: Das vom Asphalt gewärmte Wasser spritzt wieder hoch..

    Wenn´s nur jeden Tag so wäre, würd ich den Flug doch wieder buchen..

    "und ich verwandle die ... Rezeption des „Gateway Motels“ binnen Sekunden in den jüngsten See von Minnesota" SMILE

    Mit Witz geschriebener Blog - Prädikat LESENSWERT

    "bereits die ersten Anzeichen von Eisbildung" hätten mich zum ZELTEN gebracht. Selbst wenn´s beim aufbauen pisst - Wasser aufwischen und gut is..

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  2. Nun: Vom Statepark kann Mensch doch gut die 2 meilen zum All you care to eat buffet (Great Wall) nach Little falls zurueck radeln!?

    Ansonsten esse ich ohnehin nur einmal am Tag damit sich das All you can eat auch lohnt..

    OK - bis St Cloud hatte ich es dann auch nicht geschafft und bin die 29 nach rechts ab zu Littel Casars (14ener Pizza zu 5 $) und A&W (nebenan Root Beer bis zum Abwinken wobei die erste Fuellung in die Old Fashioned eisgekuehlte Mag kommt. Kein US-Aufenthalt ohne das...

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