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13. Oktober

Donaldsonville, LA - Luling, LA

Tages-Km: 81,5
Gesamt-Km: 3.728
Streckenprofil: flach
Wetter: bedeckt, bewölkt, Schauer
Temperatur: 25 / 31° C



Ein Tag, an dem nichts ist wie es scheint

Mit geflicktem Schlauch (ein Nagel war‘s) mache ich mich morgens um 09:25 Uhr auf den Weg. Lufttemperatur 27° C, Luftfeuchtigkeit 97%, tief hängende Wolken. Kein Problem, ich weiß ja, was ich dagegen tun kann: gar nichts.

Auf der Karte wirkt die Strecke malerisch, oder? Was „River Road“ heißt, muß schön sein, richtig? Welcome Dr. Jekyll and Mr. Hyde.


Seit ich diese Tour geplant habe, freue ich mich auf diesen Abschnitt, der so verlockend aussieht. Pustekuchen! Wobei ich natürlich der Straße keinen Vorwurf machen darf, denn das Problem sind die Autos und Trucks, die auf ihr entlang rasen. Immer noch nicht korrekt. Die Fahrer sind das Problem. Sie machen einem das Radeln zur Hölle. Ich weiche immer wieder für ein paar Kilometer auf den Schotterweg der Deichkrone aus. Durch den vielen Regen der letzten Wochen ist der Weg aber so weich, dass die Reifen teilweise bis zu 3 Zentimeter einsinken und ich nur mühsam mit 9 - 12 Km/h voran komme. (Lasst euch von den blauen Fetzen nicht täuschen; das war nur eine vorübergehende Schwächeperiode des Himmels.)


In Vacherie stoppe ich kurz an der „Oak Alley Plantation“. Aber ich bin definitiv nicht in der Stimmung für eine ausgiebige Besichtigung und belasse es bei einer Stippvisite.


Auch das Wetter hält nicht, was es verspricht. Es sieht fast immer nach Regen aus, aber er fällt mir nie auf den Kopf.


Mindestens fünf Mal fahre ich auf solche Wolkenungetüme zu wie in den geöffneten Schlund eines Monsters - aber ich bleibe trocken. Nun, abgesehen von dem, was 97% Luftfeuchtigkeit, 27 bis 31 Grad Celsius und stundenlanges Radeln bewirken. Die Gewitter jedenfalls ziehen entweder zur Seite oder es regnet VOR oder HINTER mir. Mehrere Male pflüge ich durch Seen, wo kurz zuvor noch eine Straße zu sehen war. Die Autos hält das nicht von der Raserei ab. So komme ich über Umwege doch noch in den Genuss des Regenwassers, jetzt vermischt mit gutem louisianischen Boden. Lehmig, sumpfig, jam.

Neben der Straße und dem Wetter hat offenbar auch die Polizei ihr Motto gewechselt. Statt „Polizei, Dein Freund und Helfer“ heißt es jetzt „Polizei, mein Freund, die helf‘ ich!“ Als ich so vor mich hin radle, höre ich plötzlich eine Lautsprecherstimme hinter mir: „Take your bike off the road and ride on the levee!“ Genau diese Worte, genau dieser Ton. Sonst nichts - und bevor ich begreife, was das war, überholt mich der Sheriff und verschwindet in der Ferne. So habe ich es also der Polizei zu verdanken, dass ich weg von der Straße bin. Letztlich hat mir der Sheriff mit seiner rüden Art dennoch einen Gefallen getan. Ich komme zwar nur noch langsam und schwerfällig voran, doch die Mücken hier oben können mich nur stechen, aber nicht überfahren.

Dann kommt der Hammer. Heut ist aber auch gar nichts so, wie es scheint. In Edgard soll ich laut Radführer die Fähre nehmen und ab dann am Ostufer des Mississippi River weiter in Richtung New Orleans fahren (Pfeil in erster Kartenübersicht ganz oben). Endlich, denke ich, endlich. Drüben ist bestimmt alles anders, alles ist drüben besser. Es muss drüben einfach alles anders und besser sein! Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ich werde es jedenfalls nicht herausfinden, denn die Fähre hat vor zwei Jahren den Betrieb eingestellt. Kurz davor ging der Radführer in Druck; er kann also nichts dafür. Was tun? 15 Kilometer zurück radeln? Dort war zwar eine Brücke, aber eine Autobahnbrücke. Weiter radeln? Wohin führt diese Straße? Wann kommt die nächste Brücke? Gibt es in dieser Gegend überhaupt eine Brücke, auf der man als Radfahrer über den Mississippi River fahren kann? Gibt es noch andere Fähren?

Die meisten Menschen, denen ich heute begegnet bin, waren schätzungsweise zwischen 18 und 25 Jahre alt und lungerten um dreckige Autowerkstätten, heruntergekommene Kneipen und Häuser mit eingeschlagenen Fenstern herum. Immer in Gruppen, immer schweigend und immer haben mich alle mit ihren Augen in Zeitlupe verfolgt. „Nur ja keinen Platten jetzt!“ war mein einziger Gedanke.

Ein paar Kilometer nach der Fähre, die es nicht mehr gibt, kam dann aber doch noch ein halbwegs seriöser Laden, in dem ich nachgefragt habe. „The next bridge is about 15 Miles away, in Luling. Just follow the road. There should be hotels too, I think.” Ach ja, das zweite Problem neben der Brücke hatte ich ganz vergessen. Wo übernachte ich heute eigentlich? Wild Zelten in dieser Gegend? Bei diesem Wetter? In diesem Sumpf? Bitte nicht! Mein Navi hat mich aber gleich beruhigt und mir mitgeteilt, dass es in Luling mindestens vier Motels kennt.

So bin ich also weitere 25 Kilometer auf dem Deich dahin gekrochen und habe dabei die einzigartige Aussicht auf den Mississippi River sehr genossen. Trotz aller Schinderei - der Deich ist der Straße eindeutig vorzuziehen.

Zum Schluss wurde es dann wieder knapp. Der nächste Gewitter-Schlund ragt vor mir auf: dunkelschwarz, hoch, breit und böse. Diesmal gibt es kein Entkommen. Dort hinten erkenne ich zwar schon die Autobahnbrücke, aber das Hotel, das ich mir ausgeguckt hatte, liegt noch etwa 7 Kilometer HINTER der Brücke. Als ich mich der Brücke und dem Schlund nähere, geht das Donnern und Blitzen los. Dann entdecke ich eine Tankstelle unterhalb der (riesigen) Brücke. Nichts wie runter vom Deich und rein in die Tanke. Unterstellen. Moooo-ment! Was ist das NEBEN der Tanke? Da steht dick und fett RAMADA drauf. Das kenne ich! Das ist ein Hotel, YEAH! Nix wie rein. (Das folgende Foto stammt vom Morgen danach!)


Noch während des Eincheckens geht es draußen infernalisch ab. Das ist kein Gewitter, das ist die kalte und vertikal verdrehte Variante eines Vulkanausbruchs. Ich erkläre der Dame an der Rezeption mein Problem mit der fehlenden Fähre und den verbotenen Brücken und frage, ob Sie nicht jemanden wisse, der mich, mein Fahrrad, den Anhänger und das Gepäck morgen früh für eine Hand voll Dollar ans andere Ufer des Mississippi River chauffiert. Nach einem kurzen Telefonat kommt sie zurück und sagt: „A manager of the hotel will give you a ride tomorrow morning. When would you like to leave?

Wäre ich nicht so ein harter Hund, würde ich der Dame jetzt heulend um den Hals fallen und sinnloses Zeug sabbern. So aber sage ich nur: „You are an angel! And now would you give me a Kleenex, please? Make it two.“

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